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Internationale Lieferketten 15.05.2025, 10:00 Uhr

Einkauf unter Druck: So begegnen Unternehmen dem Zollrisiko

Zollstreitigkeiten, Handelshemmnisse, geopolitische Spannungen – technische Einkäufer stehen heute vor einem raueren Gegenwind denn je. Wer seine Beschaffungsstrategie jetzt neu justiert, kann Risiken nicht nur abfedern, sondern Wettbewerbsvorteile schaffen. Sechs Hebel zeigen, wie aus Unsicherheit strategische Resilienz entsteht.

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Globale Lieferketten stehen unter Druck: Zollstreitigkeiten, Handelshemmnisse und geopolitische Risiken erfordern von technischen Einkäufern neue Strategien. Statt auf niedrige Einkaufspreise zu setzen, rücken Total-Cost-of-Ownership-Betrachtungen, regionale Beschaffung, flexible Vertragsmodelle und digitale SCM-Tools in den Fokus.

Foto: PantherMedia / MahaHeang245789

Die internationalen Lieferketten sind fragiler geworden. Spätestens seit die USA Anfang des Jahres neue Zölle gegenüber EU-Produkten angekündigt – und wenige Tage später befristet ausgesetzt – haben, herrscht große Unsicherheit in den Einkaufsabteilungen der Industrie. Ob Maschinenbau, Automobilzulieferung oder Elektrotechnik: Globale Handelsbeziehungen sind durch politische Entscheidungen zunehmend volatil. Die Europäische Union reagiert ihrerseits mit Gegenzöllen – und die Wirtschaft befindet sich in einer Phase zunehmender Planungsunsicherheit.

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Unsicherheit als Planungsgröße – warum klassische Einkaufsmodelle an ihre Grenzen stoßen

Die dynamischen Entwicklungen zeigen: Starre Lieferketten, langfristige Rahmenverträge und rein preisgetriebene Entscheidungen bieten kaum noch Schutz vor externen Schocks. Besonders komplex wird es, wenn Vorprodukte etwa aus Asien in der EU verarbeitet und dann in die USA exportiert werden – denn hier drohen doppelte Zollbelastungen und hohe Währungsrisiken. Einkaufsentscheidungen müssen daher neu gedacht werden – nicht auf Basis des günstigsten Stückpreises, sondern anhand belastbarer TCO-Berechnungen (Total Cost of Ownership), die alle Kostenfaktoren – vom Zoll über Logistik bis hin zur Compliance – einbeziehen.

1. Regionale Beschaffung neu gewichten

Technische Einkäufer sind heute gefordert, ihre Lieferantennetzwerke breiter aufzustellen – regional, aber auch strukturell. Besonders zollfreie Handelszonen innerhalb der EU bieten Vorteile. Eine präzise Ursprungsprüfung ist dabei unerlässlich, um gezielt Zollvorteile zu nutzen. Die Strategie „local for local“, also die Produktion in geografischer Nähe zum Absatzmarkt, wird von vielen Regierungen gefördert – und sollte auch in der industriellen Beschaffung Priorität haben.

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2. Standortwahl wird zum Wettbewerbsfaktor

Lokale Fertigungsanteile (Local Content) gewinnen nicht nur aus regulatorischer Sicht an Bedeutung. Immer mehr Unternehmen berichten von nationalen Anforderungen, die bestimmte Wertschöpfungsanteile im Land verlangen – ein Trend, der nicht nur in den USA, sondern auch in Asien und Lateinamerika an Bedeutung gewinnt. Wer Fertigungsschritte gezielt nach Europa oder in andere zollgünstige Regionen verlagert, reduziert nicht nur Zollkosten, sondern erhöht auch die Resilienz bei plötzlichen Handelskonflikten.

3. Flexible Vertragsmodelle statt starrer Laufzeiten

Klassische Langfristverträge geben in volatilen Zeiten keine Sicherheit. Technische Einkaufsverantwortliche sollten in Abstimmung mit der Rechtsabteilung auf dynamische Vertragsklauseln setzen: etwa mit Optionen zur Neupreisverhandlung bei Zolländerungen, klar definierten Verantwortlichkeiten bei Mehrbelastungen und Mechanismen zur kurzfristigen Anpassung von Bezugsvolumina. Solche Flexibilität kann bei plötzlichen regulatorischen Änderungen den Unterschied zwischen Lieferausfall und Liefersicherheit ausmachen.

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4. TCO-Betrachtung statt Einkaufspreis-Fixierung

Gerade im technischen Einkauf lohnt es sich, auch „versteckte“ Kostentreiber zu quantifizieren – etwa Zollstaffelungen, Zertifizierungsanforderungen, zusätzliche Sicherheitsprüfungen oder Rücksendekosten. Moderne Analyse-Tools ermöglichen die detaillierte Bewertung solcher Faktoren über die gesamte Supply Chain hinweg. Einkaufsentscheidungen, die auf dieser Basis getroffen werden, sind belastbarer und zukunftssicherer.

5. Digitale Transparenz durch SCM-Tools schaffen

Ob Materialfluss, Lagerbestand oder Zollstatus: Wer mit digitalen Supply-Chain-Management-Systemen arbeitet, erkennt frühzeitig Engpässe oder Kostentreiber – und kann schneller gegensteuern. Moderne SCM-Plattformen, wie sie Anbieter wie TrueCommerce bereitstellen, integrieren sich nahtlos in bestehende ERP-Systeme und automatisieren unter anderem Zollabwicklung, Ursprungsprüfung und Compliance-Dokumentation. Das spart Zeit, senkt Fehlerquoten – und schafft strategischen Überblick.

6. Monitoring als Frühwarnsystem etablieren

Nicht jede Veränderung kommt überraschend – wenn man die richtigen Datenquellen nutzt. Automatisierte Benachrichtigungssysteme über regulatorische Änderungen, Echtzeitinformationen aus internationalen Zollbehörden und systematische Beobachtung von Handelsabkommen ermöglichen es, proaktiv zu agieren. Besonders nicht-tarifäre Hemmnisse wie lokale Normen oder spezielle Sicherheitsauflagen lassen sich so frühzeitig identifizieren und kalkulieren.

Wer Zollrisiken ignoriert, gefährdet mehr als nur Liefertermine

Die Deutsche Bank spricht in einer aktuellen Analyse von „langfristigen strukturellen Auswirkungen“ durch neue Zölle – nicht nur auf Preise, sondern auf komplette Geschäftsmodelle. Für technische Einkäufer bedeutet das: Die Anforderungen an strategische Weitsicht, technische Bewertungskompetenz und digitale Transparenz steigen massiv. Wer heute in resiliente Lieferketten investiert, wird morgen schneller und robuster auf globale Veränderungen reagieren können – und damit zum Treiber der unternehmerischen Zukunftsfähigkeit.

Von von Jakob Vestergaard, Managing Director Europe bei TrueCommerce. Der studierte Betriebswirt und Informatiker war zuvor bei Evenex, KPMG und Ferrosan tätig. Bei TrueCommerce unterstützt er Unternehmen dabei, ihre Lieferketten durch digitale Lösungen effizienter und resilienter zu gestalten.